„Computerspiele sind nicht schädlich, sie bringen den Nutzern eine Menge wichtiger Kompetenzen bei“, betont Marc Prensky. „Diese Games unterrichten auf eine Weise, die in der Schule nicht möglich ist – und die Nutzer lernen Dinge, die sie in der Schule nicht lernen, aber in einer digitalen Businesswelt dringend benötigen.“

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Foto von Christina @ wocintechchat.com

Bereits im Jahr 2000 erschien Prenskys Buch „Digital Game Based Learning“ – zu Deutsch etwa „Lernen mit Computerspielen“. Damit prägte er zusammen mit einigen anderen Bildungsvisionären wie dem Pädagogikprofessor James Gee einen neuen Begriff in der Weiterbildungsszene – und eine neue Abkürzung: DGBL. Diese Thesen haben es mittlerweile in die weltweiten Leitmedien der Wirtschaft geschafft: Das „Wall Street Journal“, die „Business Week“, der britische „Economist“ oder das renommierte Technologiemagazin „Wired“ haben in den vergangenen Monaten ausführlich über die Chancen von Game-Based- Learning berichtet.

Marc Prensky beschreibt die Dramaturgie eines Computerspiels als sinnvolles didaktisches Prinzip zum Vermitteln von Inhalten, das sich Unternehmen für die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zunutze machen sollten: „Die Spieler können sich als Held fühlen. Wer schnell lernt, hat schnell Erfolg, kann gewinnen! So ist er hoch motiviert, muss Entscheidungen sehr schnell treffen und bekommt sofort Feedback über die Konsequenz seines Handelns. Er muss sein Verhalten schnell einer veränderten Situation anpassen können – etwas, was mit herkömmlichem Training fast unmöglich ist. Und er darf sich nicht zu schade sein, zu üben – so lange bis es ins nächste Level geht.“

In den USA ist die Debatte längst der akademischen Forschung entwachsen: Eine muntere Szene von einigen Dutzend Spieleentwicklern bieten ihre Leistung an; mehrere jährliche Kongresse beschäftigen sich damit ebenso wie verschiedene Bildungsinitiativen zu „Serious Games“. Konzerne wie das Pharmaunternehmen Pfizer, IT-Unternehmen wie Cisco und Canon, aber auch Banken setzen mittlerweile eigens entwickelte, aufwändige Computergames in ihrer Weiterbildung ein. Vor wenigen Wochen hat Prensky mit einem neuen Buch nachgelegt: „Don‘t Bother Me Mom – I‘m Learning!“ Es beschreibt, wie Computer- und Videospiele die Jugendlichen für eine Karriere im digitalen Businesszeitalter vorbereiten – und wie Eltern damit umgehen sollten. „Erfahrungen machen, Ausprobieren, weiterkommen – sind die Prinzipien, warum Computerspiele für die Bildung so erfolgreich sind“, fasst der Spieleexperte seine Botschaft zusammen.

Die Jugend will ganz anders motiviert werden

 

Laut Prensky gab es einen Bruch von einer Generation zur nächsten, wie man mit Wissen und Bildung umgeht und wie man sich selbst motiviert. Das macht eine veränderte Form der Wissensvermittlung notwendig. Die „Digital Natives“, die mit Internet und digitalen Medien aufgewachsene Generation der bis 35- Jährigen, benötige eine ganz andere Form der Motivation, um sich mit Inhalten auseinander zu setzen als die „Digital Immigrants“, die heute Ende dreißig sind.

Die drucken sich ihre Dateien noch aus und haben Schwierigkeiten, gleichzeitig eine SMS zu schreiben, fernzusehen und zu chatten. Das Engagement, sich mit spielerischen Inhalten ernsthaft zu beschäftigen, ist bei den Jüngeren deutlich höher als bei Älteren – das haben auch die Bildungsforscher John Beck und Mitchell Wade im Jahr 2004 mit ihrer Studie „Got Game“ herausgefunden. Sie befragten 2.500 jungen Erwachsene.

Die „Digital Natives“, für die Gaming so normal wie Fernsehen ist, lernen nach der Versuch-und-Irrtum-Methode, anstatt ein Problem systematisch zu analysieren. „Die jederzeit mögliche Wiederholbarkeit einer Handlung ist deshalb eine der Schlüsselstärken von DGBL“, erklärt Kevin Corti, Gründer des britischen Game-Based-Learning-Anbieters PixeLearning. „Fantasievolle Umgebungen und spannende Geschichten können hervorragend als trojanische Pferde für Bildungsinhalte dienen“, ergänzt der Kopenhagener Spieleforscher Simon Egenfeldt-Nielsen. Games könnten einen Paradigmenwechsel auslösen – weg vom Wissensinhaber, der vermittelt, hin zum Wissenssuchenden, der seine eigenen Lernwege geht. Auch Holger Diener, Leiter der Abteilung „Entertainment- Technologien“ am Rostocker Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung, betont, eine immer komplexer werdende Geschäftswelt benötige immer mehr Mitarbeiter, die weniger Fakten- und dafür aber mehr Handlungskompetenz hätten.

Die ließe sich durch Games viel besser als im guten, alten Frontalunterricht oder mit textbasiertem E-Learning vermitteln. Den Umgang mit komplexen Werkzeugen oder Prozessen könne man über Simulationsspiele hervorragend trainieren – zumal die aktuellen Spielekonsolen über hervorragend leistungsfähige grafische Fähigkeiten verfügten.

Spielerfahrung in den Lebenslauf schreiben?

 

Der Prozessorenhersteller Intel hat beispielsweise die Simulation „IT-Manager“ entwickeln lassen, mit dem sich Computerexperten im Spiel als verantwortliche Manager einer IT-Abteilung bewähren müssen. Die Firma wächst dabei sehr schnell vom kleinen Mittelständler zum Weltkonzern. Nun gilt es, die richtigen Entscheidungen zu treffen: Wie viel Personal mit welchen Fähigkeiten wird benötigt? Welcher der Bewerber kriegt den Job? Welche Systeme werden ersetzt? Welche Netzwerkkonzepte sind zu entwickeln? Wie steht es um die Sicherheit? Fehler können dabei richtig viel Geld kosten. Vor einigen Wochen veröffentlichte der Konzern den „IT-Manager 2.0“, nachdem sich für die erste Version bereits 120.000 Kunden und Mitarbeiter registriert hatten. „Wir können so fundiertes Wissen zum IT-Management mit unseren Marken- und Produktnamen verbinden“, berichtet Intel-Sprecher Martin Strobel. „Wir haben sogar E-Mails von IT-Fachleuten bekommen, die das komplette Durchspielen des Games in die Liste ihrer besonderen Fähigkeiten in ihren Lebenslauf schreiben wollen.“

Deutsche PE‘ler sind skeptisch

 

Anders als in USA wird in Deutschland die Diskussion noch auf der akademischen Ebene geführt. „Typische Rollenspiele und Planspiele sind hier zwar verbreitet, aber echte Game-Based-Learning-Projekte sind die Ausnahme“, meint Holger Diener. Es gebe aber erste Ansätze. Die zwei größten Hürden seien aber die vergleichsweise hohen Entwicklungskosten und das Alter der Bildungsverantwortlichen. „Die Altersstruktur der Entscheider macht die Hemmschwelle für den Einsatz von Computerspielen größer.“ Das bestätigt auch Marc Prensky: „Ich habe mit älteren Weiterbildungsverantwortlichen einiger deutscher Banken geredet. Sie haben gesagt: ‘Wir mögen sehr, was du machst, aber nenne es bitte nicht Game!‘.“ Er habe sehr viele, tiefe Vorurteile erfahren, berichtet der US-Spieleentwickler. Soft Skills mit Sport zu verbinden, fänden alle toll. Aber mit Computerspielen?

„Ein reines Spiel zur Weiterbildung bekommen sie heute von keinem deutschen Unternehmen komplett durchfinanziert“, weiß Hans Gieringer, Geschäftsführer des E-Learning-Anbieters „bit media“ aus Schwarmstedt. Digitale Mitarbeiterschulungen würden nicht gemacht, um Mitarbeiterzielgruppen besser anzusprechen, „sondern um Einsparungen im Weiterbildungsetat zu realisieren“, betont er. Daher würden klassische E-Learning-Anwendungen leider nur maximal mit virtuellen Figuren oder ein paar kleinen Schatztruhen zum Punktesammeln spielerisch gestaltet.

Sobald es um Computerspiele zum sinnvollen Vertiefen von Wissen gehe, laute die Gegenfrage: „Was kostet es denn ohne Spiel?“ Doch die Spielelemente seien gut geeignet, einen Transfer aus dem Seminarraum ins Großraumbüro hinzubekommen. Für das Thema Projektmanagement beispielsweise bietet bit media die Simulation „Simultrain“ an, die laut Gieringer besonders Motivation, Teamgeist und Kommunikation berücksichtige. Doch gerade der Transfer ist unter Bildungsforschern und Spieleentwicklern ein heftig diskutierter Punkt: Wenn etwas am Bildschirm gut klappt, läuft nicht auch der Job automatisch besser. Der Wissenstransfer aus der digitalen in die reale Welt wird daher zum wichtigen Aspekt des Lernens selbst.

„Intelligente Lerner können die Kompetenzen, die in einem Game stecken, selbst transferieren“, räumt Prensky ein, „andere brauchen dabei Hilfe.“ Doch viele identifizieren sich zu stark mit den unterhaltsamen Figuren im Spiel und würden so die Ebene der Wissensvermittlung verlassen, gibt der Experte zu. Sie spielten dann nur noch für sich. Deshalb warnt auch der Bildungsforscher und Mitautor der Studie „Got Game“, Stephen Davies: Zu viel Computer-Gaming und zu wenig kommunikative, arbeitsplatzbezogene Elemente im gesamten Konzept könnten die Spieler von ihrem Unternehmen sogar entfremden.

Interview

„Traditionelles E-Learning ist doch ein langweiliges Zeug“

 

Der New Yorker Buchautor, Berater und Spieleentwickler, Marc Prensky, sprach mit „wirtschaft + weiterbildung“ in einem Telefoninterview ausführlich über den Nutzen von Computerspielen in der Weiterbildung. Seine These: Junge Menschen brauchen eine ganz andere Motivation als frühere Generationen, um sich mit Lernmedien auseinander zu setzen.

Warum eignen sich Computerspiele zur Weiterbildung?

 

Marc Prensky: Digital Game Based Learning (DBGL) unterrichtet auf eine Weise, die in der Schule nicht unterrichtet wird. Die Spieler lernen Dinge, die sie in der Schule nicht lernen, aber am Anfang des 21. Jahrhunderts benötigen. Ich glaube sogar, dass Leute, die sich nicht mit komplexen Spielen auskennen, es künftig schwerer haben werden in ihrer beruflichen Laufbahn!

Was vermitteln Games, was die klassische Weiterbildung nicht schafft?

 

Marc Prensky: Erstens die Arbeit im Team. Zweitens lernt man, Entscheidungen unter Stress schnell zu treffen, und drittens mit Risiken kontrolliert umzugehen. Der Spieler trifft Entscheidungen und bekommt sofort Feedback über die Konsequenzen. Das ist mit herkömmlichem Training fast unmöglich. Man muss außerdem viel üben, bis es mit dem Lernstoff vorangeht. Deshalb arbeiten Games nach dem „Level“-Prinzip, also von Einheiten, die schwieriger werden. So trainiert er zugleich seine neu erworbenen Fähigkeiten.

Was sind ganz praktisch gesprochen eigentlich die wichtigsten Faktoren beim Einsatz von DGBL im Unternehmen?

 

Marc Prensky: Man benötigt einen Problemansatz, der jüngere Mitarbeiter betrifft und sich anders nicht besser lösen lässt. Ein Beratungsunternehmen musste viel Wissen über den Derivate-Handel vermitteln, also ein eher langweiliger Stoff fürs Training. Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter war 24 Jahre. Das Unternehmen konnte rund eine Million Dollar investieren und beschloss: Lass es uns in der Sprache dieser jungen Leute machen, lass uns ein Game entwickeln.

Auch in der Bibel steht geschrieben: „Wer Ohren hat zu hören, der höre.“ Hierbei ist die besondere Qualität des Zuhörens gemeint, wo man sich gegenseitig einen neuen gemeinsamen Bedeutungshorizont eröffnen kann.

Marc Prensky: Diese Qualität meine ich. Ich war Teilnehmer einer interreligiösen Konferenz, an der nicht nur die monotheistischen Religionen wie Islam, Christentum und Juden vertreten waren, sondern auch Buddhisten und andere. Der buddhistische Vertreter meinte: „Es ist schwierig, miteinander ins Gespräch zu kommen, da ihr euch doch als allein selig machende Religion versteht.“ Ich sagte daraufhin: „Es gibt so viele Wege zu Gott wie es Menschen gibt.“ Er war verdutzt und fragte, ob das meine wirkliche Meinung sei. Als ich bejahte, stand er auf und umarmte und küsste mich.

Welche Games haben denn besonders gut Wissen vermittelt?

 

Marc Prensky: Wir haben etwa ein Spiel für den Kundenservice einer Airline gemacht: „Where in the World is Carmen San Diegos Luggage.“ Das war angelehnt an ein sehr populäres Game. Man muss dabei auf den Flughäfen der Welt Carmens Gepäck finden – und so die Regeln im Umgang mit verschollenem Gepäck lernen. Die Teilnehmer waren begeistert! Später haben wir „The Wrench Conspiracy“ zum Verstehen einer 3D-CAD-Software entwickelt. Nun sind über eine Million Kopien im Umlauf. Wir haben eine spannende Story und kleine, knifflige Einheiten eingebaut – sehr motivierend, um die Software zu erkunden. Wir haben Fanpost bekommen!

Was kostet DGBL?

 

Marc Prensky: Wer wenig Geld hat, kann bei Entwicklern Spielevorlagen kaufen und sie selbst mit Inhalten füllen. Das kostet rund 10.000 Euro. Wenn Entwickler individuell programmieren, entstehen gute Mischungen aus Game und Simulation. Die kosten um 100.000 Euro. Wer die Entwicklung strategisch angeht, der benötigt zwischen 500.000 und einer Million Euro. Das machen etwa große Warenhausketten mit vielen Mitarbeitern, etwa um Kundenorientierung zu trainieren.

Bedeutet DGBL den Tod für E-Learning?

 

Marc Prensky: Typisches E-Learning ist doch ein langweiliges Zeug. Manche nennen es respektlos „Sleepware“. Wir entwickeln aber natürlich auch gewisse Zwischenformen. Das sind Lernanwendungen, die kein Game sind, aber trotzdem nach den gerade erläuterten Game-Prinzipien arbeiten – mit verschiedenen Leveln und der Notwendigkeit schneller Entscheidungen. Das Wichtigste: Man sieht seine eigenen Fortschritte beim Lernen.

Beitrag übernommen aus wirtschaft + weiterbildung Ausgabe 7/8 - 2006