Ein solches systematisches Unterstützen der Mitarbeiter durch ihre Führungskräfte wird in unserer von Veränderung geprägten Arbeitswelt immer wichtiger, da die Mitarbeiter immer häufiger vor neuen Herausforderungen stehen. Deshalb müssen ihre Führungskräfte beim Wahrnehmen ihrer Führungsaufgabe auch vermehrt in die Rolle eines Coaches schlüpfen. Dies ist jedoch nur eine Führungsrolle unter vielen – da Führungskräfte anders als echte Coaches stets auch die disziplinarischen Vorgesetzten ihrer Mitarbeiter sind. Das setzt ihrer Coaching-Funktion enge Grenzen.

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Foto von Carlos Muza

Der Coach hingegen ist eine Person, die gegenüber dem Coachee keine eigenen Interessen verfolgt. Somit kann er neutral gegenüber dem Kunden, der Situation und dem zu erzielenden Ergebnis sein. Ein Coach schaut aus angemessener  Distanz  mit seinem Kunden auf eine Situation und unterstützt ihn durch Fragen, Konfrontieren und Rückmelden in der Suche nach einer Problemlösung. Ein Coach ist  ausschließlich dem inhaltlichen Auftrag seines Coachees verpflichtet. 

Deshalb ist es in folgenden Situationen sinnvoll einen externen Coach zu engagieren:

  • wenn die Führungskraft zu sehr im Thema involviert ist und daher eine neutrale Haltung nicht oder sehr schwer möglich ist. 
  • wenn es für den Mitarbeiter hilfreich ist, zusätzlich zur Wahrnehmung des Vorgesetzten einen neutralen Blick von außen auf sich selbst oder die Situation zu erhalten
  • wenn  ein  Konflikt  zwischen  der  Führungskraft  und  dem Mitarbeitenden besteht,  der  zurzeit nicht  ohne  Unterstützung lösbar scheint.

Entsprechendes gilt, wenn Herr Riedl sagt: „Ich komme zwar zu den Entscheidern durch. Es interessieren sich aber weniger als 25 Prozent für unsere Leistung.“ Dann können beide gemeinsam ermitteln, wie sie das Etappenziel, 25 Interessenten bis Ende April zu identifizieren, doch noch erreichen können. Vielleicht, indem sich Herr Riedl beim Telefonieren auf bestimmte Branchen konzentriert? Oder indem er schlicht 150 statt der geplanten 100 Unternehmen anruft?

Durch ein solches Vorgehen kann die Führungskraft sicherstellen, dass ihr Mitarbeiter die gesteckten Etappenziele und letztlich auch das Endziel „zehn Abschlüsse“ erreicht. Doch nicht nur dies. Sie sorgt auch dafür, dass beim Mitarbeiter die gewünschten Lernprozesse stattfinden und bei ihm die Erfahrung entsteht, die er künftig zum eigenständigen Lösen ähnlicher Aufgaben braucht. Denn durch das gemeinsame Analysieren, warum gewisse Vorgehensweisen (nicht) funktionieren, gewinnt der Mitarbeiter auch Erfahrung damit, geeignete Lösungswege zu entwerfen. Diese kann er auf andere Aufgaben übertragen. 

Firmenalltag: Führungskraft Huber gibt Mitarbeiter Riedl eine neue Aufgabe, zum Beispiel das Vertriebskonzept für ein neues Produkt zu entwerfen. Kurz unterhalten sich Huber und Riedl darüber, welche Ziele dabei zu erreichen sind – zum Beispiel in zwei Monaten 50 Kunden für das neue Produkt gewinnen. Dann kehrt Führungskraft Huber wieder an ihren Schreibtisch zurück und widmet sich anderen Aufgaben. Entspannt! Denn Mitarbeiter Riedl bewies in der Vergangenheit schon oft, dass man auf ihn bauen kann.

Woche für Woche vergeht. Und immer wieder fragt Führungskraft Huber Herrn Riedl, wenn er ihn trifft: „Wie läuft’s?“ Dessen Antwort: „bestens“. Also fragt Huber nicht weiter nach. Denn er ist überzeugt: Der Riedl hat die Angelegenheit im Griff.

Doch dann naht der Termin, an dem die Aufgabe erledigt und die vereinbarten Ziele erreicht sein sollen. Und zunehmend macht sich bei Mitarbeiter Riedl Nervosität breit. Immer häufiger erzählt er von „Problemen, die sich ergaben“. Und wenige Tage, bevor der Job erledigt sein soll, gesteht er seinem Chef: „Ich schaffe es nicht“. Und der fragt entsetzt: „Warum haben Sie mich nicht früher informiert? Dann hätten wir noch gegensteuern können.“ Doch dafür ist es nun zu spät.

Was sollte Vertriebsleiter Huber also tun? Er sollte sich mit seinem Mitarbeiter zusammensetzen und erarbeiten:

  • Wie können wir das vorgegebene Ziel erreichen? 
  • Welche Maßnahmen sind nötig? Und:
  • Welche Unterstützung braucht Mitarbeiter Riedl hierfür?

Das Ergebnis könnte sein: Wenn wir bis Ende Juni zehn Neukunden gewinnen möchten, müssen wir bis Ende April mindestens 100 Unternehmen anrufen und ermitteln, ob bei ihnen grundsätzlich ein Bedarf für unsere Leistung besteht. Von ihnen sagen voraussichtlich circa 25 „Ja“. Mit diesen 25 potenziellen Kunden müssen wir bis Ende Mai persönliche Gespräche führen und ihnen individuelle Angebote unterbreiten. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir Ende Juni Aufträge von zehn Neukunden haben.

Sind der Weg zum Ziel „zehn Neukunden“ und die Etappenziele, die es hierbei zu erreichen gilt, fixiert, lässt sich daraus ableiten,

  • welche Teilaufgaben sich hieraus ergeben und 
  • welche Unterstützung fachlicher, personeller sowie motivationaler Art Herr Riedl braucht, um diese wahrzunehmen.

Also muss Führungskraft Huber in den Folgewochen bei Herrn Riedl regelmäßig nachfragen:

  • „Wie läuft es mit dem Telefonieren? Bekommen Sie ausreichend Entscheider ans Telefon?“ oder 
  • „Erweist sich unsere Annahme, dass 25 Prozent der Unternehmen sich für unsere Leistung interessieren, als richtig?“ 

Antwortet Riedl „nein“, muss Huber sich mit ihm zusammensetzen und analysieren: Was könnte der Grund dafür sein? Zeigt sich dann zum Beispiel, dass die Vorzimmerdamen Herrn Riedl selten durchstellen, ist zu fragen, wie Herr Riedl die Telefonate anders aufbauen könnte. Müsste er vielleicht an der mentalen Barriere, fremde Menschen anzurufen, arbeiten? Abhängig vom Ergebnis lässt sich die nötige Unterstützung für Herrn Riedl organisieren.

Wer ist für das Scheitern verantwortlich? Der Mitarbeiter oder die Führungskraft? Beide! Leider hat die Führungskraft nicht ausgelotet, ob sein Mitarbeiter alleine einen geeigneten Lösungsweg findet oder Unterstützung benötigt. Also konnte Huber diese seinem Mitarbeiter auch nicht gewähren. Die Führungskraft überprüfte zwischenzeitlich auch nicht, ob sich ihr Mitarbeiter noch „auf Kurs“ befindet, um – sofern nötig – korrigierend einzugreifen. Sie nahm also eine Kernaufgabe jeder Führungskraft nicht wahr, nämlich ihre Mitarbeiter bei deren Arbeit anzuleiten – zumindest bei Aufgaben, bei denen ihnen noch die nötige Routine und Erfahrung fehlt. 

Häufig wird in Führungsseminaren über das Thema Coaching referiert. Dabei reduziert sich das Coachen im Betriebsalltag weitgehend auf ein Anleiten der Mitarbeiter – zumindest dann, wenn der Coach zugleich der disziplinarische Vorgesetzte der Mitarbeiter ist. Denn als solcher entscheidet die Führungskraft auch weitgehend über deren berufliches Fortkommen. Das wissen die Mitarbeiter. Deshalb ist ihr Verhalten gegenüber ihren Vorgesetzten auch stets von taktischen Erwägungen geprägt. Kaum ein Mitarbeiter würde zum Beispiel, solange er keine Job-Alternative in der Tasche hat, offen zu seinem Chef sagen, „Meine Arbeit macht mir überhaupt keinen Spaß“, oder, „Ich bin überfordert“. Zu Recht! Denn zu viel Offenheit schadet dem beruflichen Fortkommen.

Das steckt der Coachingfunktion von Führungskräften enge Grenzen. Sie beschränkt sich weitgehend darauf, die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit anzuleiten. Dabei wird Anleiten häufig mit Anweisen gleichgesetzt. Doch Anleiten bedeutet nicht, anderen Personen Befehle wie „Tue dies“ und „Tue das“ zu erteilen, sondern ihnen auch die nötigen Hilfestellungen zu geben – seien diese fachlicher oder mentaler Art. 

Wie kann die Führungskraft nun als Coach agieren? Sie gibt ihren Mitarbeitenden, wenn sie vor neuen Aufgaben stehen, nicht die Lösung vor, sondern fragt vielmehr, „Wie würdet Ihr diese Aufgabe angehen?“. Die Führungskräfte motiviert sie also, eigene Lösungsvorschläge zu entwerfen. Und zeigt sich dabei, dass sie Unterstützung brauchen? Dann gibt sie ihnen Hilfestellungen, bevor sie sich mit ihnen auf einen Lösungsweg verständigt. Doch damit ist ihr Job noch nicht erledigt. Sie fragt vielmehr beim Umsetzen immer wieder nach („Gibt es Probleme?“, „Was habt ihr zwischenzeitlich erreicht?“), um bei Bedarf korrigierend oder unterstützend einzugreifen. Denn sonst ist weder sichergestellt, dass die gewünschten Ergebnisse erzielt werden, noch dass bei den Mitarbeitenden die gewünschten Lernprozesse stattfinden.

Eine solche Unterstützung oder Begleitung brauchen nicht nur Auszubildende, sondern auch erfahrene Arbeitskräfte – zumindest bei Aufgaben, mit deren Lösung sie noch wenig Erfahrung haben. Diese Hilfestellungen zu gewähren, ist eine Führungsaufgabe. Denn sonst bleibt es weitgehend dem Zufall überlassen, welche Arbeitsergebnisse die Mitarbeiter erzielen. Und die Führungskraft kann am Ende nur konstatieren: Die Ziele haben wir nicht erreicht.

Das sei an einem Beispiel illustriert. Angenommen, Kundenbetreuer Riedl, der bisher im Innendienst arbeitete, soll künftig im Außendienst Neukunden akquirieren. Dann genügt es nicht, wenn sein Chef, Vertriebsleiter Huber, zu ihm sagt „Herr Riedl, machen Sie das einmal“ und ihm eventuell noch das Ziel vorgibt: „Bis Ende Juni, also in drei Monaten, müssen Sie zehn Neukunden haben“. Denn dann ist nicht sicher gestellt, dass Herr Riedl seine neue Aufgabe adäquat wahrnimmt und das definierte Ziel erreicht. Das kann Vertriebsleiter Huber im Extremfall den Job kosten. Denn seine Leistung wird von seinen Chefs an der Leistung seiner Mitarbeiter gemessen. Ausflüchte wie „Mein Mitarbeiter Riedl war überfordert“ akzeptieren sie nicht, wenn Hubers Bereich das vorgegebene (Vertriebs-)Ziel verfehlt.